Kurz nach Mitternacht in Stuttgart: ein zu schnelles Auto, ein Fahrrad auf der falschen Spur und zwei junge Frauen, deren unterschiedliche Welten heftig aufeinanderprallen. Beide versuchen, die Liebe zu finden. Beide werden dabei in erster Linie mit sich selbst konfrontiert. Und beide wissen in diesem Moment, dass sie ihr Leben ändern müssen.
Was sie nicht wissen: dass sie dieses Abenteuer gemeinsam antreten werden. Und das, obwohl sie sich bisher nicht einmal kennen.
Seit Alex ins Auslandssemester abgehauen ist, geht bei Maja alles den Bach runter. Dann verliert sie bei einem Unfall mit der rasenden Krankenschwester Hannah auch noch den Button, den Alex ihr geschenkt hat und der die Aufschrift trägt: „Liebe klingt so“.
Was das wohl zu bedeuten hat? Das fragt sich Hannah, die den Button findet – und sich reumütig auf die Suche nach seiner Besitzerin macht. Aber auch bei Hannah läuft nicht alles rund, denn ihr Freund Janosch zieht sich immer weiter zurück. Und dann verliert sie den Button, den sie unbedingt zurückgeben wollte.
Doch Hannah und Maja sind sich viel näher, als die beiden ahnen. Und am Ende kommt keine von beiden mehr umhin, sich der Frage nach dem Klang der Liebe zu stellen.
Leseprobe
Prolog – nachts zwei
Durch die Bäume am Straßenrand weht eine warme Brise, es ist kurz nach Mitternacht und zwei völlig unterschiedliche Mädchen sehen sich an. Eine davon bin ich.
Wir beide jeweils mit verbeultem Fahrzeug und verbeulter Stirn, das Ergebnis des Zusammenpralls verschiedener Welten.
»Mir auch«, sagt das blonde Mädchen noch, und ich spüre ganz deutlich: Dieser verstockte, hilflose Moment gerade, der entscheidet. Denn von hier an gibt es zwei mögliche Ausgänge unserer gemeinsamen Geschichte: Entweder, das hier ist ein Beginn oder bereits das Ende. Der Beginn einer Freundschaft vielleicht, zusammengeschweißt durch ein absurdes Abenteuer, oder es bleibt schlicht und ergreifend: ein Unfall.
Ich kann eine Freundin dringend gebrauchen.
Und ich habe keine Ahnung, wie das geht.
Überfordert wie ich bin, bahnt sich unheilvolles Gestammel seinen Weg: »Komm gut vollends nach Hause«, höre ich mich sagen. »Vor allem sicher. Und auf der richtigen Straßenseite.« Und ich will mich verfluchen dafür, aber schon ist es zu spät, denn das Mädchen erwidert: »Du auch. Vor allem langsam. Und ohne Unfälle.«
Voller Reue und mit verkniffenen Lippen starre ich zu Boden, will noch etwas sagen, muss etwas sagen, denke fieberhaft nach und höre sie derweil auf ihr Rad steigen und davonfahren.
Das Vollmondlicht wirft einen silbernen Glanz auf die Hausfassaden.
Plötzlich ist alles ruhig.
Nur das Zittern will nicht aufhören.
Noch immer sitze ich mit angewinkelten Beinen am Bordsteinrand und sehe immerhin rechtzeitig auf, um zu beobachten, wie das blonde Mädchen vom Wohngebiet verschluckt wird.
Alles gut, sie lebt, flüstere ich mir selbst im Geiste zu. Sie hat definitiv einen Knall, aber sie lebt und ist unverletzt, sage ich mir weiter, aber es nützt nichts. Also klemme ich mir die Finger in die Kniekehlen, um sie zur Ruhe zu bringen, aber auch das bringt nichts. Seit ich das Lenkrad voller Panik herumgerissen habe, zittern meine Hände. Nur in der Routine vorhin hatte es kurz aufgehört.
Desinfizieren, abtupfen, Wundverband anlegen – Gehirn aus, Arbeits‑Hannah an, Zittern weg.
Jetzt ist das Zittern wieder da und meine Knie vibrieren unaufhörlich mit. Als ich den Kopf darauf ablege, fallen mir die Locken übers Gesicht. Sofort zucke ich wieder hoch. »Aua!«
Ich halte mir die Stirn, exakt wie das andere Mädchen vorhin. Quark, doch nicht du. Es ist doch bloß dein Auto, das was abbekommen hat, höre ich ihre Worte noch einmal nachhallen, eine verächtliche Ermahnung.
Janoschs Auto, denke ich mit einem Zähneknirschen und bin plötzlich wahnsinnig erschöpft. Janosch.
Ich hatte ihn in der letzten Viertelstunde vollkommen vergessen.
Dazu braucht es also achtzig Stundenkilometer – ja, ich habe vorhin gelogen – und eine Falschfahrerin, gut zu wissen. Jetzt ist Janosch auf jeden Fall wieder da und sein Auto hat eine Macke. An der ich schuld bin. In einer Parallelwelt ist das Mädchen gestorben. Diese Parallelwelt existiert zwar nur in meinem Kopf, aber dort so laut, dass sie im ganzen Körper nachhallt. Dort stehe ich morgen früh vor Janosch, mit gesenktem Blick und gestehe: »Es ist soweit, meine Eifersucht hat jemanden umgebracht. Wir können nicht mehr zusammen sein. Schon allein deswegen nicht, weil ich ins Gefängnis muss und es dort nur eine Stunde Besuchszeit pro Woche gibt, und das wäre Fernbeziehung, nein, schlimmer. Es wäre eine Gefängnisbeziehung. Eine Stunde Augenkontakt pro Woche, weil kuscheln darf man dort bestimmt nicht.«
Nein, ich habe keine Ahnung, wie es im Gefängnis ist. Aber das ist alles egal, weil sie lebt! Hannah! Reiß dich zusammen!
Das geht so nicht. Ich muss aufstehen, ich muss was machen, ich drehe sonst durch. Mir ist schlecht. Kurz bin ich mir sicher, gleich kotzen zu müssen. Hier, mitten auf die Straße. Wäre eigentlich gar nicht so übel, dann wären immerhin die beiden Tafeln Schokolade, die vorhin daran glauben mussten, auch gleich wieder ungeschehen. Manchmal wünsche ich mir, Bulimikerin zu sein. Nein, dann lieber gleich ein bisschen magersüchtig, so wie Janosch.
Innerlich schelte ich mich, er hasst es, wenn ich so etwas sage. Beziehungsweise denke. Spätestens morgen früh wird er mich sowieso hassen, ich habe eine verfluchte Delle in sein Auto gefahren! Und zwar aus purer Dummheit. Sie sollten mich ins Gefängnis stecken, nicht wegen des Mädchens, sondern wegen der Dummheit. Und der Schokolade. Und weil ich ungerecht zu Janosch bin. Aber den hat doch das alles nicht interessiert. Eigentlich ist er an allem schuld.
Steh auf, flüstert eine leise Stimme in mir, steh endlich auf!
Und endlich stehe ich auf. Die Beine übernehmen die Aufgabe des Zitterns jetzt. Auf wackeligen Füßen, den Blick sicherheitshalber auf den Boden gerichtet, gehe ich zum Auto.
Sogar das Straßengrau wirkt ein bisschen silbern, denke ich, und dann sehe ich das Aufblinken.
Da liegt etwas.
Und dieses Etwas reflektiert einen dünnen Streifen Mondlicht direkt neben mir am Boden. Ich bücke mich, hebe es auf.
Es ist eine Sicherheitsnadel.
An ihrer Rückseite klebt ein rundes Schildchen. Als ich es umdrehe, springt mich ein Haufen schwarzer Buchstaben an, und obwohl es gar nicht allzu viele sind, dauert es einen Moment, bis ich mir den Satz auf dem gelben Button erschließen kann: ›Liebe klingt so‹, steht da. Ohne jedes Satzzeichen. Kein Punkt, schon gar kein Punkt‑Punkt‑Punkt und auch kein Fragezeichen, gar nichts.
Ja, wie denn, frage ich mich sofort. Wie klingt bitteschön Liebe? Und gleichzeitig sehe ich reflexartig Richtung Wohngebiet, als wäre das blonde Mädchen noch dort und könne mir eine Antwort darauf geben.
Ganz zu Beginn, als ich mich über sie beugte, da kam sie mir für einen Moment seltsam vertraut vor. Als hätten wir uns schon einmal gesehen. Es ist ihr Button, da bin ich mir sicher. Sie muss ihn verloren haben, ihre Tasche lag an dieser Stelle. Aber jetzt ist sie weg und ich kann ihn ihr nicht mehr zurückgeben. Außer sie kommt zurück, um ihn zu suchen. Vielleicht sollte ich einfach so lange hier auf sie warten. Dann könnte ich mich auch direkt noch mal bei ihr entschuldigen. Nicht für den Unfall, sondern meine unfreundliche Art und weil ich es verpasst habe, sie nach ihrer Nummer zu fragen, um ihr wenigstens mal einen Kaffee oder ein Mittagessen zu spendieren. Als Wiedergutmachung. Und vielleicht auch, um sie näher kennenzulernen.
Eine Weile drehe ich den Button mit seinen drei Worten zwischen meinen Fingern und werde das Gefühl nicht los, dass ich auch dieses Ding bereits kenne. Ich frage mich, was ihr der Button wohl bedeutet und wo sie ihn herhat.
Liebe klingt so. Die entscheidende Information fehlt. Wer trägt so etwas mit sich herum? Warum?
Ein bisschen macht der Button mich wütend, je länger ich die Buchstaben darauf anstarre.
Hannah, ermahne ich mich selbst, es ist nur ein Stück Plastik mit einer Sicherheitsnadel dran, wirf es einfach weg. Lass es fallen! Vielleicht bemerkt das Mädchen ihren fehlenden Button und kommt tatsächlich morgen her, um ihn zu holen.
Aber wenn ich ihn zurück auf die Straße lege, fährt das nächste Auto drüber. Und wenn ich das Ding im Grünstreifen lasse, pinkelt morgen früh ein Hund darauf. Vermutlich ist der Button nur ein belangloses Accessoire gewesen und sie wird sein Fehlen nicht einmal bemerken. Weil er eigentlich nur dazu da war, um Normalos wie mich ein bisschen wütend zu machen, die sich hinterher zwangsläufig fragen, wie Liebe denn nun klingt und sich doof fühlen, weil ihnen ein Geheimnis verwehrt bleibt, dass der Buttonträger selbst offensichtlich kennt.
Ich sehe mich nach einer Mülltonne um. Ich mag es nicht, wenn Leute ihren Dreck einfach herumliegen lassen. Dann will ich ihn wenigstens ordentlich entsorgen, den Buchstabenhaufen. Ich schließe meine Finger so fest darum, als wolle ich die Bedeutung aus ihm herausquetschen und gehe etwas orientierungslos erst in die eine, dann in die andere Richtung, ohne dabei eine Mülltonne zu entdecken. Seit wann hat Liebe überhaupt einen Klang? Wer behauptet das? So ein Blödsinn. Ich sehe auf und bemerke, dass ich im Kreis herumlaufe. Ärgerlich beschleunige ich meine Schritte. Blödsinn. Alles Blödsinn!
Ich schüttele den Kopf.
Der einzige Blödsinn hier bin ich.
Ergeben bleibe ich stehen und öffne meine Hand. Darin liegt ein gelber Button. Er gehört einem Mädchen. Einem Mädchen, das ich fast getötet hätte. Bei diesem Wort zittern meine Knie wieder heftiger, sie zwingen mich vorerst zurück auf den Bordsteinrand. Nein, ich kann das Ding nicht einfach wegschmeißen. Ich muss es ihr zurückgeben. Und sie fragen, wie Liebe klingt.
Kapitel 1 – Maja
Auf Zehenspitzen schleicht sich Maja durch die Wohnung, um niemanden zu wecken. Leiser als leise schließt sie die Badezimmertür. Dort reißt sie sich die Klamotten regelrecht vom Leib, setzt sich in die Wanne, lässt sich das Wasser über den Kopf brausen, als stünde sie im Regen, und fühlt sich wahnsinnig lebendig dabei. Nackt und lebendig. Lebendiger als die sieben Stunden vorher zusammengerechnet.
Zwei Dinge weiß sie in diesem Moment ganz sicher:
Erstens, sie lebt.
Zweitens, sie muss dringend etwas ändern.
Nicht am Überleben. Aber an der Art des Überlebens.