Was bedeutet es, zu lieben?
Dieser Frage haben wir unser Weihnachtstheaterstück 2019 gewidmet. Ist zu lieben ein Gefühl oder doch eher eine Aktivität? Kann man nur Wesen und Situationen lieben, die man mag oder gut findet? Oder hat zu lieben vielleicht doch eine ganz andere Bedeutung?
Inspirieren ließen wir uns dabei von der Figur Jesus – die man sich auch sehr unvoreingenommen anschauen kann, unabhängig von einer Glaubensrichtung. Ich stöberte darum neugierig durch seine biblische Biographie, um diese Figur etwas besser kennenzulernen. Und falls du gerade keine Lust hast, das alles nachzulesen, kein Problem – wir haben extra für dich an der Uhr gedreht und eine kleine Zeitreise vorbereitet, die sein Leben in vier Minuten für dich zusammenfasst.
Diese Zeitreise ist gemeinsam mit den Konfirmanden 2019 entstanden – und natürlich unserem großartigen Jens-Peter, der mit Licht zaubern kann. Sie stellt den Auftakt unseres Theaterstücks dar, in dem wir Jesus – als personifizierten Inbegriff der Liebe – in die Gegenwart beamten, damit die Hauptfigur Sola ihn ganz persönlich fragen kann, warum er wie damals handelte. Sie selbst sitzt nämlich gerade am Bahnhof und spielt mit dem Gedanken abzuhauen. Aber bevor ein Gespräch zwischen den beiden entstehen kann, muss sich Jesus zuerst einmal in unserer Welt zurechtfinden:
Schaffner: Ey Sie – ja doch, Sie! Wollen Sie nun einsteigen oder nicht?
Jesus: Einsteigen?
Schaffner: Hören Sie, mir is es ja egal, aber an Heiligabend fährt nicht so oft was, also …
Jesus: Du bist von diesem Tier verschluckt worden wie Jona vom Wal! Hast etwa auch du eine wichtige Botschaft Gottes zu überbringen?
Schaffner: Hä?
Jesus: Höre, auch ich komme in Gottes Auftrag!
Schaffner: Vergessen Sieʼs. Frohe Weihnachten.
Jesus: Weihnachten …?
Zurück in die Gegenwart
Zum Glück eilt ihm Sola zur Hilfe, die sich – ist ja Weihnachten – für den verrückten, armen Mann erbarmt. Unabhängig davon ist sie jedoch ziemlich wütend auf die ganze Scheißwelt, die immer weiter den Bach runtergeht. Und weil ihr das Familienfest zu Hause zu scheinheilig war, ist sie nach einem Streit mit ihrem Papa kurzerhand geflohen. Sie weiß: Das Einzige, was diese Welt noch retten könnte, wäre ein Wunder!
Immerhin ist sogar Gottes Plan ordentlich schiefgelaufen, der damals seinen Sohn runterschickt hat, um die Welt wieder in Ordnung bringen. Als Sola darum langsam checkt, dass der einstig als Messias betitelte Typ nun tatsächlich vor ihr steht, ist sie fest davon überzeugt, dass sich Gott seine Niederlage mittlerweile eingestanden hat und es noch einmal versucht …
Sola: Veräppel mich nicht! Du bist hier, um die Menschheit diesmal tatsächlich zu retten!
Jesus: (sieht sich fragend um) Die Menschheit muss gerettet werden?
Sola: Aber hallo! Hast du denn von da oben gar nicht mitgekriegt, was hier unten alles abgeht – Kapitalismus, Kriege, Klimawandel?
Jesus: Klimawandel?
Sola: Es wird immer heißer auf der Erde!
Jesus: (fröstelnd) Dafür ist es aber ganz schön kalt hier.
Sola: Wir sterben bald alle!
Jesus: Für dein junges Alter hast du dir einen beeindruckenden Pessimismus zugelegt. Und ich glaube, du hast einen falschen Eindruck von mir. Ich habe nicht…
Sola: (checkt langsam) Du hast gar keine Ahnung von der Welt…!
Jesus: Nein, tatsächlich nicht. Aber zu meiner Verteidigung muss ich sagen: Ich hatte auch damals schon keine Ahnung.
Sola: Wie bitte?
Jesus: Na ja, ein einzelner Menschenverstand war noch nie groß genug, die Welt zu begreifen, oder? Ich habe einfach gelebt und mein Ding gemacht.
Sola: Du meinst, dich als ultimativen Messias ausgegeben,
Jesus: genau genommen habe ich nie –
Sola: … ein paar Kranke geheilt,
Jesus: das war Gottes Absicht, die durch mich …
Sola: Und dich dann ans Kreuz nageln lassen, anstatt die Menschheit zu retten! Du – du – Hochstapler!
Jesus: Äh, nein – Zimmermann. (seufzend) Aber glaubst du, das hat mir Spaß bereitet?
Sola: (kurzes erstauntes Schweigen) Ganz ehrlich? Das habe ich sowieso nie verstanden: Warum hast du das mit dir machen lassen?
Jesus: Weil ich gewählt habe.
Sola: Was?
Jesus: Zu lieben.
Sola: Du spinnst ja.
Jesus: Tja, das haben sie damals auch schon gesagt.
Ende anders – alles blöd!
Ganz skurril wird das Ganze, als Sola Jesus anschließend sogar mit zu sich Hause nehmen möchte, um sein Geburtstagsfest mit ihrer Familie zu feiern. Denn während Sola etwas Wichtiges verstanden hat, springt die Regisseurin höchstpersönlich von ihrem Platz auf und unterbricht die ganze Szenerie – was fällt denen ein, so ein heile-Welt-Ende zu spielen und das Stück einfach umzuändern!
Janina: (springt nach vorne) STOPP! Seid ihr bescheuert geworden? Ihr spielt das falsche Ende!
Maxi: Das Ende ist so besser.
Janina: Was? Dass Jesus mit Sola nach Hause geht und sich einfach alle nen schönen Abend machen?
Marcus: Es hat sich so richtiger angefühlt. Lebendiger.
Janina: Ach so. Weil darum gehtʼs ja! Nicht darum, dass wir hier den Leuten versuchen, ETWAS WICHTIGES zu vermitteln!
Maxi: Janina, ich glaube, du hast das Stück nicht verstanden.
Janina: Wie bitte?! Ich habe es geschrieben! (verzweifelt) Und das Lied beginnt erst später! Argh! Jens-Peter! Mach das aus!
Maxi: Janina, jetzt beruhig dich doch mal.
Janina: Nein! Das ist das Lied bei dem Jesus zurück in die Vergangenheit geht, schon vergessen? An der Stelle sind wir aber noch nicht.
Maxi: Müssen wir ihn denn zurückschicken?
Janina: Wir haben ihn in die Gegenwart geholt, natürlich müssen wir ihn zurückschicken!
Marcus: Aber – bin ich denn wirklich wiedergekommen?
Janina: What the fuck, Marcus?!
Moritz: Na, war er denn jemals weg?
Janina: Was ist los mit euch!? Spinnt ihr jetzt alle?
Marcus: (guckt sie ernst an, nimmt ihre Hände) War ich jemals weg?
Und eigentlich war vielleicht das die bestimmende Frage des Abends: Ist Jesus jemals weggewesen? Denn hier kommt der biblische Plot Twist: Jesus‘ Biographie endet gar nicht mit seinem Tod, sondern … aber lassen wir doch noch mal die Konfirmand*innen und das Theater-Team selbst sprechen:
Jesus reloaded: andere Form, gleiche Botschaft
Dazu ein paar Überlegungen auf biblischer Metaebene: Vielleicht war Jesus gar kein special Wonder-Dude, sondern »nur« jemand, der seinem Wert (zu lieben), treu war. Vielleicht ist Jesus niemals weggewesen, sondern geistert als Botschaft in jeder und jedem herum, der/die sich davon berühren lassen möchte. Vielleicht ist zu lieben gar kein Gefühl, sondern eine Wahl, die man treffen kann.
Und so kam auch die Regisseurin zu dem Schluss: Zu lieben, das bedeutet, den Dingen wohlwollend zu begegnen – auch wenn sie mal überhaupt gar nicht so laufen, wie sie sich das vorgestellt hat (Was fällt Sola und Jesus ein, einfach nen schönen Weihnachtsabend zu verbringen, wenn da draußen doch die Welt gerettet werden muss! W T F und heidenei!). Denn vielleicht kommt diese Rettung doch in ganz anderer Gestalt als vorher vermutet.
Hurra, es war ein Stück im Stück! Wie lange habe ich darauf gewartet, so etwas einmal mit den wunderbarsten Mitspieler*innen umsetzen zu dürfen, juchu und jippi yeah! Ich bin immer noch so voller Dankbarkeit, wenn ich an das letzte Weihnachten zurückdenke.
Und so gingen zumindest auch wir nachdenklich aus diesem Theaterstück und fragten uns: Wenn wir nur mal für diese Weihnachtsfeiertage »zu lieben« wählen, was würde das genau bedeuten? Wie würden wir das machen?
Zu lieben: Eine Wahl, die man treffen kann
Das Schöne an der These, dass Liebe eine aktive Wahl ist: Man ist keiner Situation mehr hilflos ausgeliefert. Und auch wenn sich Jesus mit ziemlicher Sicherheit einen schöneren Tod hätte vorstellen können, hat er selbst in dieser Situation sein Ding noch durchgezogen – und ist seinem Wert treu geblieben.
Zu lieben, man könnte auch sagen, das ist die Art und Weise, wie wir eine Situation einfärben. Mit welcher Brille wir sie betrachten. Die Objekte der Szenerie sind die gleichen, aber sie ändern ihre Erscheinung. So wie Jens-Peter, wenn er mit farbigem Licht zaubert. Bleibt darum nur eine Frage zum Schluss:
Was bedeutet es für dich, zu lieben?
P.S.: Als Musikstücke dienten uns übrigens die wundervollen Werke von Clann (Her & the Sea) und Hans Zimmer mit dem Soundtrack von Interstellar (ein Film, der unsere Theater-Idee offensichtlich auch ein wenig beeinflusst hat, lach).