Poetry Slam: Rückwärts durch die Jahreszeiten

Wie oft hast du schon versucht, deine Beziehung in einer Form festzuhalten?

Zwischenmenschliche Beziehungen sind nichts Statisches, Unabänderliches oder Feststehendes. Stattdessen wachsen sie mit den beteiligten Personen und deren Weiterentwicklung mit.

Man könnte daher möglicherweise sagen: Beziehungen durchlaufen Zyklen. Und die Beteiligten entscheiden, wie viele davon ihre Beziehung durchlebt. Die bedeutsame Frage lautet also vielleicht eher: Wie oft hast du deine Beziehungen schon neu erfunden?

Rückwärts durch die Jahreszeiten

WINTER

Es ist vorbei.
Dieser Satz, der hängt noch eine Sekunde lang zwischen uns, dann fällt auch er hinab,
wie das letzte Blatt am Baum einer Beziehung, die sich der Winter geholt hat.
Übrig bleibt nur leeres Geäst über unseren Köpfen,
bereits gefroren in der Kälte des letzten Streits,
und übrig bleibt nur ein Skelett vergangener Träume in unseren Köpfen.
Übrig bleiben wir, desillusioniert.
Vom stürmischen Wandel der Zeit, bis im Dezember die Welt an ihrem Gefrierpunkt
einmal kurz stehen bleibt und dann, endlich, ist das Jahr vorbei.

So werden auch wir beide uns vergessen und sie mit Schnee bedecken,
all die bitteren Worte, all den Schmerz in den steifen Gliedern,
und das müde Herz wird sich schlafenlegen, es kann gerade nicht mehr für uns weitergehn.
Es wartet auf den Schnee, der sich drüber legt,
über das Alltagsmatschbraun der welken Blätter am Boden unserer Zweisamkeit.
Und der Schnee wird ihn begraben,
den Verfall gemeinsamer Zukunft
unter der weiß herabrieselnden Unschuld zweier Menschen,
die es immerhin miteinander versucht haben.

HERBST

Erst Ruhe dann Sturm. Regen wäscht das Fest des Sommers vom Körper und nach der üppigen Ernte unserer Früchte haben wir nichts mehr zu tun. Als zu warten.
Es ist das Routinegrau des Himmels in dieser gottverlassenen Jahreszeit, die uns in ein sicherer Haus treibt, zurück drängt und einengt.
Etwas zwischen uns altert.

Aus dem Entstehen wurde fließend ein Vergehen,
aber wir ertragen die Altersgebrechen unserer Abenteuer nicht.
Zwischen uns artet es aus.

Wir wühlen im Laub vergangener Tage, aber sie zerfallen immer kürzer werdend zwischen unseren Fingern, bis nur noch Erinnerung davon übrig bleibt. Und jede Menge Dunkelheit.
Ich sehe dein Gesicht an, aber es will nicht mehr in meine Vorstellung von dir passen.
Wann sind wir wohl bereit das Alte loszulassen?

SOMMER

Es ist die Zeit nach der zarten Verliebtheit.
Eine Zeit, die nach dem Ganzen schreit, nach dem Satten, dem Wilden und der Unbesonnenheit.
Das Leben vor der Türe steht in voller Blüte. Alles grünt, alles zirpt, alles will … dich so sehr, komm in meine Arme, komm her, trotz der Hitze oder gerade deswegen, ich will deinen Körper spüren.
Lass uns verwegen auf unbekannten Wegen gehen, denn sie ist überall zu fühlen, zu riechen und zu sehen,
die Leidenschaft, mit der die Natur sich für uns zum Geschenk verpackt hat.

Und zur Mitte im August, explodiert sie in all ihrer Fülle und Farbenpracht, sie ruft
die Schwalben zum Tanze, während du meine Hand suchst, um loszurennen auf einen See zu.
Wir springen in gespiegeltes Himmelsblau und stillen dort im kühlen Nass den Durst unserer Abenteuerlust.

FRÜHLING

Es war vorbei.
Doch die letzte Winternacht hängt längst nicht mehr im leeren Geäst und ein Specht,
der klopft zum Morgengruß, die Dämmerung hat Sonnenstrahlen mitgebracht.

Die kitzeln zuerst zart Gefühle wach, dann strecken sich kleine Knospen hin ans Licht.
Sie sind jung, sie wissen noch nicht, zu welcher satten, vollen Pracht sie bestimmt sind –
wie zwei Menschen, die einander erblickend noch nichts von alledem wissen, was zwischen ihnen heranzuwachsen beginnt.
Und wir beide sehen uns an, im Auge des anderen noch unerkannt.
Denn nach einem Winterschlaf werden zwei Erwachte niemals mehr dieselben sein.

Am Wegesrand entfaltet ein Blümchen sich ganz leis, gibt das Geheimnis der Beständigkeit im Wandel preis,
denn ohne Winter gäbe es auch keinen Schnee von gestern und wir beide
würden für immer festhängen in derselben Jahreszeit.

Doch von den Wachstumsschmerzen der letzten Monate geheilt,
ist jeder Baum und jedes Blatt nun wieder bereit für den nächsten Kreis der Lebendigkeit.
Wir schreiben Träume in lauen Frühlingswind,
sehen zu wolkenloser Freiheit hin und im grünen Ast singt eine Amsel vom ewigen Neubeginn.

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