Was würden Schwarz und Weiß wohl über ihr eigenes Dilemma der Gegensätzlichkeit erzählen?
Das menschliche Dasein ist wohl nicht letztendlich geistig zu begreifen. Und das Leben innerhalb der Gegensätze birgt eine Menge unangenehmer Widersprüchlichkeiten.
Da wünscht man sich schnell mal, das Gedingse mit den sich ständig wandelnden Formen zu vergessen, den engstirnigen Verstand irgendwo abgeben zu können und in die grenzenlose Einheit abzutauchen. Aber die duale Welt ermöglicht uns eine gewisse Form der Freiheit auch erst: Die Freiheit zu etwas. Wir können uns innerhalb der Polarität bewegen. Wir können wählen und dadurch erfahren.
Und ich habe mich gefragt, was wohl die Dualität selbst zu dem ganzen Thema sagen würde? Was können uns die Gegensätze über das Dilemma offenbaren, in dem auch sie dadurch feststecken?
Aber seht und hört selbst, wenn Schwarz und Weiß erzählen:
Was Weiß und Schwarz verbindet
Weiß: Super. Toll gemacht! Wirklich großartig! Es heult jetzt, das Kind. Und weißt du, wer daran Schuld ist?
Schwarz: Natürlich. Natürlich! Und wir wissen beide, dass du es nicht bist!
Weiß: Nein, denn ich würde es nie zum Weinen bringen. Nie! Heute morgen hat es begonnen im Morgenlicht zu singen, ich habe ihm einen Schmetterling geschenkt. Wir waren spazieren in der ganzen magischen Pracht da draußen, voller Schönheit, die das Kind noch nicht kennt. Es hat sich auf einen Baum gesetzt und Kirschen gegessen, sich in einem klarblauen See abgekühlt und die Leichtigkeit des Sommers in seinem Herzen gefühlt … aber du lässt ja nie lange auf dich warten.
Schwarz: Ich bin überall, wo du auch bist. Wir spielen beide mit offenen Karten.
Weiß: Ja, aber du lässt die Blätter welken, bald den Sommer und irgendwann auch das Leben enden, du quälst das Kind mit ablaufender Zeit. Du bist die Nacht, die Kälte, der Tod. Du bist der Grund, warum es weint!
Schwarz: Ich weiß. Aber ich habe es nicht gewählt.
Weiß: Ich weiß.
Schwarz: Meine Absichten sind gut, ist es nicht das, was wirklich zählt?
Weiß: Aber ich kann das Kind nicht mehr weinen sehen, bitte. Ich ertrag keine einzige Träne mehr, den Schmerz in seinen Augen nicht, das traurige, fassungslose Gesicht, wenn wieder ein Stück vom Leben zerbrochen ist. Und vor allem ertrage ich diese Frage nicht, wortlos gestellt, mit offenem Mund und einem Kopfschütteln, das vom ganzen menschlichen Unverständnis über die Welt erzählt, das ewig unbeantwortete … Warum?
Schwarz: (gleichzeitig) Warum! Hör auf, mir diese Frage immer vorzuwerfen. Tu nicht so dumm – du weißt, dass die Antwort nicht meine ist.
Weiß: Das Kind fragt aber dich.
Schwarz: Natürlich – weil ich hässlich bin! Weil es meine Hände sind, die das Blut vergießen, das du zum Leben geschaffen hast. Aber ohne mich wüsstest du gar nicht, wer du bist.
Weiß: Ich bin Licht.
Schwarz: Nicht ohne mich. Deine Helligkeit bleibt ungesehen, wenn sie nicht von meiner Nacht gehalten wird.
Weiß: Ich bin warm!
Schwarz: Nur weil ich kalt bin.
Weiß: Ich bin das Funkeln von Schmetterlingsflügeln in der Morgensonne, Tauperlenwunder auf satten Wiesen und lachende Kinder, die darauf spielen.
Schwarz: Und doch könntest du deine eigene Schönheit gar nicht begreifen, wenn ich sie dir im Spiegel des Gegenteils nicht offenbaren würde. Aber glaubst du, mir gefällt es, die Hässlichkeit zu sein? Es macht mich völlig mürbe! Was ist mit dem Schmerz in diesen Augen?
Weiß: Ich will es dir ja glauben, es ist nicht deine Absicht.
Schwarz: Ich bin es für dich. Du brauchst mich, genauso wie ich dich.
Weiß: Ja … ja. Es tut mir leid. Wir beide, wir gehören zusammen.
Schwarz: Weil wir vom selben Urprung stammen.
Weiß: Ich wünschte nur, es würde auch anders gehen. Ich wünschte, wir müssten uns nicht so gegenüber stehen.
Schwarz: Zwei Pole, zur gleichen Zeit immer eins und immer unvereint. Du und ich, wir sind nur die zwei Seiten einer Medaille, mehr nicht, ohne Schatten kein Licht.
Weiß: Und ich bin ein Zwilling, der nur mit seinem Ebenbild einen Sinn ergibt. Nein, ich weiß ja, Warum ist nicht deine Frage, nicht einmal die von uns … Sie gehört dem Universum.
Schwarz: In dem wir beide entstanden, um die Gegensätze aufzuspannen
Weiß: Und das Warum gehört der Leere zwischen uns,
Schwarz: Leere, die einen Raum öffnet, in dem das Leben Platz hat
Weiß: Sich mit eigenem Willen zu entfalten.
Schwarz: Die Frage gehört der Stille
Weiß: die unseren Klang erst möglich macht, so dissonant und doch …
Schwarz: seine eigene Harmonie damit erschafft
Weiß: Und die Antwort auf das Warum
Schwarz: steht in der Unendlichkeit des Alls, in dem alles und eins dasselbe ist.
Weiß: Aber … es tut so weh! Diese ewige Kluft zwischen uns beiden, die zerreißt mich!
Schwarz: Das Kind. Denk an das Menschenkind. Erinnere dich: Wir sind nicht grundlos seine Eltern, es braucht unseren Kontrast.
Weiß: Obwohl er einen Widerspruch erschafft.
Schwarz: Nur, weil es uns beide gibt, ist seine Seele wirklich frei
Weiß: genauso so zu sein, wie sein Herz es verlangt.
Schwarz: Weil die Dualität, die wir für es tragen
Weiß: ermöglicht, dass es wählen kann.
Schwarz: Und eines Tages wird es bereit sein und das verstehen.
Weiß: Ja. Es tut mir leid, dass ich dich vorhin weggeschickt habe – lass uns gemeinsam zu ihm gehen.
Schwarz: Es … es weint noch. Willst du nicht lieber allein … ?
Weiß: Nein. Komm mit. Das Kind braucht uns beide, um wirklich ganz zu sein.